Teilhabe in der Arbeitswelt

Die weitestgehend selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Handicap im Arbeitsprozess ist spätestens seit der UN-Behindertenrechtskonvention eine Kernforderung!

Ich würde mich sehr freuen, wenn das nachfolgende Interview mit Thomas Gensler eine Diskussion anstoßen würde, ob bzw. wo unser Hilfesystem kritisch hinterfragt und ggf. die eine oder andere Praxis geändert werden muss.

Thomas und mir ist es sehr wichtig, dass die in dem nachfolgenden Interview angesprochenen/erlebten Unzulänglichkeiten nicht als pauschale Kritik verstanden werden. Insbesondere Thomas war und ist voll des Lobes über die jahrelange Unterstützung in „seiner“ Werkstatt.......aber er will mehr! Dass Thomas dazu fähig ist, belegt eindrucksvoll dieses Interview: Binnen 2 (!) Stunden hat Thomas per Mail meine Fragen beantwortet und zwar genau so, wie es nachfolgend zu lesen ist!

Ich freue mich sehr auf Öffnet ein Fenster zum Versenden der E-MailIhre Rückmeldung, Ihr Hubert Seiter

__________________________________________________________________________

Thomas Gensler

Hubert Seiter im Gespräch mit Thomas Gensler (33 Jahre), der seit einem Unfall in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfB) arbeitet.

Hubert: Lieber Thomas, wir haben uns bei der Bäder- und Rehatour des Krebsverbandes Baden-Württemberg kennengelernt. Über 30 Radlerinnen und Radler mit und ohne Handicap fahren eine Woche gemeinsam durch Deutschland und Europa und „zeigen, was möglich ist“. Du warst zunächst auf dem Dreirad dabei und hast es zwischenzeitlich wieder auf das „normale“ Zweirad geschafft. Unterwegs habe ich von dir viel erfahren über deinen schweren Unfall und wie du dich danach wieder in das Leben zurückgekämpft hast. Du fühlst dich in deiner WfB ganz gut aufgehoben, hast aber trotzdem den Ehrgeiz, wieder ganz oder teilweise an einem normalen Arbeitsplatz Fuß zu fassen.

Thomas: Das ist richtig, wir haben schon knapp 3.500 km gemeinsam auf dem Fahrrad zurückgelegt! Jeder einzelne km davon hat mich weitergebracht. Besonders stolz bin ich darauf, wieder auf einem Fahrrad fahren zu können, da ich das lange Zeit für unmöglich gehalten habe. Es ist für mich ein absolutes Privileg mich wieder so bewegen zu können! Die Werkstätte war für meinen damaligen neurologischen Stand wichtig, weil ich mich schon immer zu sehr unter Druck gesetzt habe. In der Werkstatt zumindest habe ich gelernt, dass ich das nicht tun muss und meine Leistung trotzdem abrufbar ist. Leider merke ich derzeit in meinem Praktikum, dass ich davon noch immer nicht vollends losgekommen bin. Nobody is perfect!

Hubert: Wurdest du bei deiner mehrjährigen medizinischen und beruflichen Rehabilitation auf den Wiedereinstieg in den beruflichen Alltag ausreichend vorbereitet? Was hat später dann in der WfB gut und was hat weniger gut geklappt?

Thomas: Die Vorbereitung zum Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt fand in der WfB - zumindest in meinem Fall - leider leider viel zu wenig statt. Der Slogan: “Individuelle Förderung nach bester Eignung und Neigung” müsste in der Praxis viel konsequenter umgesetzt werden. Nach meiner Erfahrung ist es so, dass Menschen in der WfB mit einer Tätigkeit vertraut gemacht werden. Wenn sie diese Arbeit dann gerne machen und sie auch beherrschen, ist man damit zufrieden.

Hubert: Zwischenzeitlich bist du 6 Jahre im WfB. 2016 haben wir dort mit der Bäder- undRehatour Station gemacht. Wir alle waren sehr beeindruckt, wie du uns mit großem Sachverstand und sichtlich stolz vorgeführt hast, was du tagtäglich dort leistest.

Thomas: Das ist richtig. Ich bin auch sehr stolz auf meine, in der Werkstätten gelernte, sehr komplexe Tätigkeit! Beim einstellen, umbauen und programmieren ist meine Aufmerksamkeit voll gefordert. Auch beim Nachbearbeiten der Teile muss in meiner Tätigkeit die Genauigkeit immer Priorität haben.

Hubert: Viele von uns – auch ich – haben sich damals gefragt, warum du diese anspruchsvolle Arbeit in einem WfB und nicht unmittelbar bei dem Arbeitgeber machst, für den du die Werkstücke produzierst.

Thomas: Aus mehreren Gründen: Weil ich von meinem Arbeitstempo niemals in einer industriellen Firma an einer Maschine mithalten könnte. Weil ich meine Maschinentätigkeit auf dem 1. Arbeitsmarkt im stehen ausüben müsste, was ich aufgrund meiner Behinderung nicht kann. Weil ich nicht für diese Tätigkeit ausgebildet bin sondern erst in der Werkstatt angelernt wurde. Aus meiner Sicht hätte sowohl der Integrationsfachdienst, als auch – wie schon erwähnt – die Werkstatt mehr tun können, um mich zu vermitteln. Die Politik und die Kostenträger sind gefragt. Es muss sich auch für die WfB lohnen, wenn sie für einen Mensch mit Handicap einen Anstellungsbetrieb außerhalb der WfB sucht und findet! In anderen europäischen Ländern ist man da schon weiter. Menschen mit Behinderung werden dort mit mehr Respekt behandelt.

Hubert: Wie müsste ein Arbeitsplatz in einem „normalen“ Betrieb aussehen, wie müsste dein Arbeitgeber und deine Arbeitskollegen dich unterstützen, damit du dir zutrauen würdest, direkt dort und nicht mehr in der „beschützenden“ WfB zu arbeiten?

Thomas: Mein Arbeitgeber müsste viel Verständnis dafür haben, dass ich Tätigkeiten, die ich schon oft zufriedenstellend erledigt, aber längere Zeit nicht mehr gemacht habe, nochmal gezeigt bekommen muss. Mein Aufgabenbereich darf nicht zu viele Tätigkeiten umfassen, weil es mir schwerfällt, bei zu großer Komplexität die Übersicht zu behalten! Leider findet das im heutigen Arbeitsleben immer seltener statt. Die Arbeitsdichte steigt, weil immer weniger Personal immer mehr Tätigkeiten beherrschen muss!

Hubert: Hast du trotzdem Lust, es einfach mal außerhalb einer WfB zu versuchen?

Thomas: Ich probiere derzeit in dem Projekt „Mensch inklusive“ von der Lebenshilfe Schweinfurt, auf dem 1. Arbeitsmarkt zu arbeiten! In dem Projekt bleibt der Mensch mit Handicap weiterhin bei der Lebenshilfe angestellt, arbeitet aber auf einem ausgelagerten Werkstattarbeitsplatz in der freien Marktwirtschaft! In diesem Projekt absolvierte ich die letzten Wochen ein Praktikum in einer Sozialstation der Caritas, wo mir entsprechende Arbeitsbedingungen geschaffen wurden. Nach meinem Praktikum geht es jetzt für mich so weiter: Ich arbeite weiterhin 4 Arbeitstage die Woche in der Werkstätte. Einen Arbeitstag werde ich dann in der Sozialstation der Caritas arbeiten. Auch wenn mir sofort eine Vollzeitbeschäftigung bei der Caritas lieber wäre, bin ich mit der Entwicklung sehr zufrieden, weil es mir eine Tür in das Unternehmen offen hält. Zudem macht es mein Arbeitsleben abwechslungsreicher !

Das Fazit von Thomas: Meiner Meinung nach müssen sich die Werkstätten und der Integrationsfachdienst noch viel mehr anstrengen, um Leute wie mich wieder im 1. Arbeitsmarkt unter zu bringen. Auch wenn ich nur von meiner speziellen Situation sprechen kann und die Werkstätten keinesfalls schlecht machen will, es muss eine Hauptaufgabe der Werkstätten sein, Menschen mit Behinderung wieder auf den 1. Arbeitsmarkt zu integrieren. Dazu müssen - meiner Meinung nach - sowohl die Werkstätten als auch die Politik um einiges mehr leisten. Die Werkstätten müssen mehr beachten, dass man nicht alle Menschen mit Behinderung über einen Kamm scheren darf. Die Politik und die Kostenträger müssen es belohnen, wenn eine Werkstätte diese Aufgabe wirklich ernst nimmt. In meinem Fall wurde zu wenig berücksichtigt, dass ich klar denken, aber halt nicht so lange stehen kann.

Hubert: Lieber Thomas, ich danke dir sehr, für dieses offene Gespräch. Deine kritischen Anmerkungen sind konstruktiv und du gibst konkrete Hinweise, was anders bzw. besser werden muss. Du sagst andererseits aber auch ganz deutlich, dass die beschützende Werkstattumgebung für dich in bestimmten Phasen deiner Rehabilitation sehr wichtig war. Deine Freundinnen und Freunde der Bäder- und Rehatour wünschen Dir und Julia jetzt eine stressfreie Zeit bis zu eurer Hochzeit im Mai.
Werdet richtig glücklich miteinander!

Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen und Reaktionen. Öffnet ein Fenster zum Versenden der E-MailSchreiben Sie uns!

 

 

zum Seitenanfang